Transformation Perspectives Series 09

Wie können wir das organisatorische Paradoxon der Notwendigkeit von Kontinuität und digitaler Transformation lösen, um nachhaltigen Erfolg zu erzielen?

Das Leben scheint voller Paradoxien zu sein, voller scheinbar widersprüchlicher Anforderungen und Bedürfnisse. Einerseits wollen wir uns sicher fühlen, anderseits sehnen wir uns nach Abwechslung und Abenteuer. Wir streben nach beruflichem Erfolg und wollen gleichzeitig ein erfülltes Familienleben. Und wie der Titel schon andeutet, stossen wir im Geschäftsleben oft auf das Bedürfnis nach Kontinuität und gleichzeitig auf die scheinbar paradoxe Notwendigkeit, digitale Transformationsprozesse laufend und schnell umzusetzen. Wie können wir diese Herausforderung lösen, um nachhaltigen Erfolg zu erzielen?

Um das offensichtliche Paradoxon von Kontinuität und Transformation besser zu verstehen, ist es wichtig, zunächst den Unterschied zwischen Problemen (die gelöst werden können) und Dilemmata oder Polaritäten (die andauern und daher nur gemanagt, nicht aufgelöst werden können) zu kennen. Schauen wir uns die jeweilige Definition an:

  • Problem: Eine Herausforderung, die mit Analyse und Logik korrekt adressiert werden kann. Sobald die beste Lösung gefunden wurde, ist das Problem behoben und wir können uns neuen Dingen zuwenden.

  • Dilemma / Polarität: Eine Thematik, die andauert und für die es keine endgültige Lösung gibt. Zwei scheinbar widersprüchliche Positionen müssen in ein Gleichgewicht gebracht werden, vergleichbar mit dem Prozess des Einatmens und Ausatmens. Solange das System funktioniert, gibt es keinen Endpunkt und keine endgültige Lösung. Daher gilt: Polaritäten müssen erkannt und gemanagt werden, weil sie als solche nicht aufgelöst werden können.

 

Transformation im betrieblichen Geschehen sprechen, geht es dann um ein Problem oder eine Polarität? Es wird Sie nicht überraschen, dass es sich hierbei um eine Polarität handelt, also ein kontinuierliches Thema, das nicht (auf)gelöst, sondern nur gemanagt werden kann.

Die zugrunde liegende Polarität für dieses Problem ist diejenige zwischen dem menschlichen Streben nach Sicherheit bzw. Stabilität auf der einen und Veränderung auf der anderen Seite. Eines unserer Grundbedürfnisse ist Sicherheit und gleichzeitig wollen, nein, brauchen wir Abwechslung bzw. müssen wir uns an veränderte Umstände anpassen. Wenn wir vollkommene Sicherheit hätten, d.h. stets genau wüssten, was in Zukunft passiert, wäre unser Dasein schnell langweilig. Andererseits würde uns eine unkontrollierbare Vielfalt an Veränderungen, die gleichzeitig und in allen Bereichen unseres Lebens auftritt, schnell überwältigen.

Nun hängt wiederum auch unser Erleben von Stabilität und Veränderung (bzw. die damit verbundene positive oder negative Konnotation) von unserer individuellen Erziehung, Erfahrung und Persönlichkeit ab. Immer werden wir unbewusst mit einer bestimmten Voreingenommenheit reagieren, die unserer konditionierten Präferenz entspricht. Wenn unsere Erziehung viel Sicherheit und Vertrauen mit gleichzeitigen Ermutigungen bot, neue Dinge zu wagen, trauen wir uns später mehr zu, Unbekanntes zu erforschen, wenn wir dagegen in unserer Kindheit und Jugend zahlreiche beängstigende Veränderungen erleben mussten und wenig Sicherheit erfuhren, werden wir als Erwachsene wahrscheinlich vorsichtiger auf Wandel reagieren. Interessant ist also in dieser Betrachtung, dass nicht so sehr Wandel oder Stabilität per se, sondern vielmehr die dahinterliegenden Perzeptionen der beteiligten Menschen im organisatorischen Kontext eine entscheidende Rolle spielen. Denn es ist doch so, dass, wenn wir Situationen z.B. als festgefahren erleben, dies eher ein Hinweis auf die Qualität unserer Interaktion mit uns selbst, einer bestimmten Person, einem System oder in uns verankerten limitierenden Überzeugungen ist. Es ist diese unsere Starrheit der inneren Perspektive, die zum gefühlten festgefahren Sein führt, weniger die Situation an sich.  

Alles in allem kann also die Polarität von Sicherheit und Veränderung (bzw. der dahinterliegenden menschlichen Reaktionen darauf) nicht aufgelöst, sondern nur gehandhabt werden. Es geht also darum, ein angemessenes bzw. der Situation möglichst gerecht werdendes Gleichgewicht zwischen den beiden Polen zu finden.

Diese Polarität zwischen Kontinuität und Wandel spiegelt sich aktuell immer stärker in Unternehmen und insbesondere solchen, mit grossen digitalen Veränderungsprojekten wider, in denen wir häufig zwar eine klare Geschäftslogik hinter dem Wandel, aber zu wenig Unterstützung für und Ausrichtung auf die davon betroffenen MitarbeiterInnen finden.

In unserer Arbeit hat es sich als hilfreich erwiesen, zunächst die zugrunde liegenden Werte und limitierenden Überzeugungen (Beliefs) einer Organisation zu beleuchten, bevor umfassende digitale Veränderungsprozesse angestossen werden. In den meisten Fällen können wir die oben angesprochenen bipolaren Präferenzen der MitarbeiterInnen nach «Kontinuität» auf der einen Seite und «Veränderung» auf der anderen Seite gut erfassen und abbilden. In einer positiven Ausprägung wird bei den Befragten, die diese Polarität bevorzugen, «Kontinuität» häufig mit Werten wie Stabilität, Vertrauen und Sicherheit in Verbindung gebracht, wohingegen «Veränderung» häufig mit Chancen, Wachstum, Kreativität oder notwendiger Innovation in Verbindung gebracht wird. In einer negativen Ausprägung kommen bei gleichen Fragen und Personen limitierende Beliefs zur nicht bevorzugten Polarität zum Vorschein, welche die verinnerlichten Werte unbewusst unterstützen (vgl. Grafik 1: Wert und entsprechende Beliefs des anderen Werts). Das bedeutet einfach, dass Menschen, die eindeutig für «Kontinuität» eintreten und bewährte Ansätze bevorzugen, oft unbewusste Beliefs über «Veränderung» haben, wonach diese nur zu Chaos, Verwirrung und Frustration führen und am Ende wenig Vorteile und ein zu hohes Gesamtrisiko mit sich bringt. Befürworter von «Veränderung» hingegen hegen häufig unbewusste Beliefs von «Kontinuität», insofern, dass diese für sie zu Stagnation, Momentums- und Energieverlust führt und letztendlich dazu, dass Marktanforderungen nicht mehr erfüllt werden können.


Polaritäten von „Kontinuität“ und „Veränderung“ (basierend auf Polarity Partnerships)

  

Der wichtigste Schritt bei der Lösung dieser Art Fragestellung ist die Erkenntnis, dass es sich nicht um ein abschliessend lösbares  Problem handelt (bei dem es eine «beste» Lösung gibt), sondern, wie mehrmals erwähnt, um eine Polarität, bei der beide Pole wichtig sind und nebeneinander existieren müssen. Wenn wir das Bewusstsein für die gegenseitige Abhängigkeit bzw. Beeinflussung der beiden Pole schaffen, können wir das Thema weg von einer «Entweder-oder»- in eine «Sowohl als auch» -Position bzw. Betrachtungsweise führen. Das bedeutet praktisch: es braucht beides, sowohl Kontinuität als auch Veränderung und eine differenziertere Sicht auf die Vor- und Nachteile beider Positionen im Kontext des Purpose und der Strategie des Unternehmens.

Die Schaffung eines solch differenzierten Verständnisses und die umsichtige, gemeinsame Ausrichtung der MitarbeiterInnen auf die gewählten Massnahmen führt zu einer deutlichen Bündelung der Energien und Aktionen im Unternehmen und zu einem integrierten und letztendlich erfolgreicheren Change Projekt.

 Dies ist übrigens, was wir Transformation nennen - eine Einsicht, die einen unwiderruflichen Perspektivenwechsel schafft und damit bessere Entscheidungen und Ergebnisse ermöglicht. Als Führungskräfte sind wir effektiver, wenn wir Polaritäten verstehen, integrieren und handhaben können. Und als Mitarbeiter sind wir leistungsfähiger, wenn wir neben dem Bewusstsein bestehender Polaritäten auch die Unterstützung von darauf ausgerichteten Systemen und Prozessen haben, die uns helfen, diese besser zu verstehen und zu integrieren.

 

 Dr. Mélanie Huser und Dr. Thomas Gartenmann

Das ist Teil der Transformation Perspectives Series von www.aergon.com